
„Pilgerst du auf dem Jakobsweg?“, fragt mich die Dame hinter der Theke einer Bäckerei, die ich am frühen Morgen irgendwo inmitten der französischen Pyrenäen betrete. Es ist nicht das erste Mal, dass man mir diese Frage stellt und im vorliegenden Fall geht es um ein Jakobsweg-Frühstücksmenü: Kaffee, Croissant, Banane zum Pilgerspezialpreis. Da Lügen morgens besonders anstrengend ist und ich meinen Pilgerstatus noch nicht final geklärt habe, entscheide ich mich für ein knappes: „Non“ . Die Frau mustert mich mit einem Lächeln und berechnet mir trotzdem den günstigeren Pilgerpreis. Ihre Reaktion überrascht mich, denn ich hörte, dass Reisenden ohne Pilgerausweis manchmal Vergünstigungen und der Einlass zu Herbergen verwehrt bleiben soll und ich überlege, ob es eine Geste des Mitleids ist oder ob die Dame vielleicht mehr in mir sieht, als ich über mein Verhältnis zum Pilgern weiß. Bei einer Tasse Jakobs-Krönung schweift mein Blick über die muschel- und kreuzbehangenen Pilgerer, die sich auf den Showdown, die letzten paar Hundert Kilometer auf der Pilgerautobahn, wie es einer von ihnen nannte, vorbereiten. Die meisten sind sehr gut ausgestattet, denn auch die Industrie hat längst auf den Trend reagiert und schlecht gekleidet pilgert es sich nur halb so gut. Ich frage mich, was sie wohl suchen mögen? Sündenablass, Sinn, Entschleunigung und Stille oder vielleicht einfach die körperliche und geistige Herausforderung des Unterwegsseins. Sie werden ihre Gründe haben. Doch was ist mit mir, bin ich nun einer von ihnen? Ich besitze weder einen Pilgerausausweis noch Muschel oder Kreuz und glaube eigentlich immer noch daran, dass ich eher zufällig im Fahrwasser des heiligen Jakobus gelandet bin. Gibt es denn Zufälle überhaupt? Weiterlesen